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Erwachsenwerden

5. Externe Unterstützer

5.2. Ressource für den Umbau der Beziehung

Photo: IB Sued-West gGmbH

„Auch junge Menschen mit einem hohen Unterstützungsbedarf müssen den Weg in ein eigenes Leben finden, wenn auch in einem anderen Rahmen. „Endlich bin ich mein eigener Herr“, sagt ein junger Mann in seiner eigenen kleinen Wohnung. Das zeigt seine Lust am Erwachsenwerden und am selbstbestimmten Leben. Er sagt aber auch: „Ich verstehe mich prima mit meinen Eltern.“ Denn Abnabelung ist nicht gleichbedeutend mit der Abkehr vom Elternhaus. Es zeigt vielmehr, dass die Eltern vieles richtig gemacht haben. Sie haben es ihrem Kind ermöglicht, das nötige Selbstbewusstsein zu entwickeln, um den Schritt in ein eigenes Leben zu wagen.“ [17]

In diesem Kapitel möchten wir Ihnen erläutern, wie externer Unterstützer zu einer wertvollen Hilfe bei der Veränderung des Eltern-Kind-Verhältnis werden können. Dabei sprechen wir folgende Punkte an:

  • Die Beziehung wird umgebaut (5.2.1.)
  • Aufbau von wechselseitigem Vertrauen (5.2.2.)
  • Verantwortung - Risiken teilen (5.2.3.)

 

5.2.1. Die Beziehung wird umgebaut

Der Prozess der Ablösung kann auch als der Prozess der „Beziehungsumgestaltung“ zwischen den Beteiligten verstanden werden.

Wenn das Kind allmählich erwachsen wird, kann aus einer Beziehung zwischen einem Aufschauenden und einem Abschauenden eine Beziehung auf einer Ebene zwischen zwei erwachsenen Menschen werden. Der Kontakt zueinander wird dann freiwillig angestrebt und das Leben ist unabhängig voneinander möglich. [18]

So wie man zu anderen Kindern, die von zu Hause ausziehen, noch mehr oder weniger intensiven Kontakt hält, so kann man das mit Kindern mit Behinderung genauso: Gemeinsame Unternehmungen, Einladungen zum Abendessen, Telefonate. All das lässt die Verbindung zu Ihrem Kind bestehen. Es gibt vielfältige Möglichkeiten weiterhin ein Miteinander zu gestalten, nur eben in einem geringeren Umfang.[19]

Die pädagogischen Fachkräfte können für den jungen Erwachsenen während des Umbau- und Ablösungsprozesses zu einer engen und wichtigen sozialen Unterstützung, also eine Ressource werden.

Bei der Umgestaltung der Beziehung und des Übergangs ist wichtig, dass die Lebenswelten / "Systeme“  (z.B. Familie und Heim) Verbindung miteinander haben. Das heißt Erfahrungen und Verhaltensweisen, die ein Mensch in einem System erlernt hat, soll auch in anderen Systemen anwendbar sind. Zudem ist wichtig, dass der Menschen sich als Mitgestalter der verschiedenen Systeme erlebt und Einfluss haben kann.[20]


Graphic: IB Sued-West gGmbH

5.2.2. Aufbau wechselseitigen Vertrauen

Um sein Kind gut in andere Hände geben zu können braucht man Vertrauen in die Personen, die das Kind begleiten. In der Phase der Vertrauensbildung ist wichtig sich und dem Anderen Zeit zu geben. [21]

Insbesondere wenn das Kind auszieht ist es hilfreich den komplexen Prozess von `Ablösen und Ankommen` zu beachten. Dabei haben die beteiligten Personen unterschiedliche Interessen und Bedürfnisse:  Die Eltern als „Experten“ für ihren Sohn/ ihre Tochter, der einziehende Bewohner als „Experte“ für seine eigenen Bedürfnisse und der Mitarbeiter als „Experte“ für Methoden und Konzepte.

Werden die unterschiedlichen Perspektiven und Arbeitsweisen kennen gelernt, können diese auch akzeptiert und gegenseitig unterstützt werden.  Auf dieser Basis können „alte“ und „neue“ Lebenswelten miteinander in Einklang gebracht werden.

Als wichtigster Faktor wird aber die Zusammenarbeit zwischen den Eltern und dem Unterstützerkreis gesehen. Hier entstehen oft Konflikte darüber, dass die jeweiligen Kompetenzen nicht anerkannt werden. „(…) [D]ie Eltern [fühlen] sich [oft] missverstanden und als angeblicher „Hemmschuh“ für die Entwicklung ihrer Kinder. Und auf der anderen Seite haben die Professionellen den Eindruck, sie könnten es den Eltern nie gut genug machen. [22]

Wie kann eine aktive Gestaltung der Beziehung zwischen den Eltern und den Unterstützern aussehen?

Die Beachtung folgender Punkte können eine erfolgsversprechende partnerschaftliche und gleichberechtigte Kooperation ermöglichen:

  • Zeigen Sie Offenheit in der Zusammenarbeit, dann können die unterschiedlichen  Ausgangspositionen wahrgenommen werden.[23]
  • Planen Sie Zeit für Gespräche ein! „Gespräche und Kontakt sollten nicht erst dann stattfinden, wenn „etwas vorgefallen ist“, sondern als Kontaktpflege und vertrauensbildende Maßnahme selbstverständlich in der Arbeit werden"
  • Überlegen Sie sich, ob und wieviel Sie aktiv in der Einrichtung „mitarbeiten“ wollen.

  • Lassen Sie sich Begriffe erklären falls in den Gesprächen zuviel Fachsprache verwendet wir.

  • Vermeiden Sie Konkurrenzsituationen! Es schadet dem Kind![24]


5.2.3. Verantwortung und Risiken teilen

Wenn der junge Erwachsene in eine Einrichtung zieht, ist zu klären, in welcher Form die Verbundenheit zur Familie gewahrt bleiben kann; die Elternschaft geht auch nach der Ablösezeit weiter. Oft bleiben Eltern für bestimmt Bereiche zumindest partiell verantwortlich, müsssen gleichzeitig aber auch bestimmte Verantwortungen an andere Personen, wie z.B. Mitarbeiter des betreuten Wohnen abgeben". [25]


Photo: pixabay.com

Menschen mit geistiger Behinderung sind - je nach Hilfebedarf - lebenslang auf besondere Begleitungen und Hilfen angewiesen. Sie leben ein einem "dreipoligen Beziehungsgeflecht", in einem Dreieck in Abhängigkeit von professionellen und privaten Bezugspersonen. [26]

Schwierigkeiten können sich ergeben, weil Pädagoginnen elterntypsiche Aufgaben übernehmen. Beide fühlen sich für gleiche Aufgaben zuständig, z.B. für Kleidung, die Selbstversorgung und die Zukunftsplanung. Die Aufgaben „überlappen sich“.

Neben allen „Überlappungen“ ist wichtig, dass beide Seiten erkennen, dass sie vor allem auch unterschiedliche Kompetenzen und Stärken haben, die für ihre Kinder bzw. die Bewohner sehr wichtig sind.

„Kooperationen bedeutet hier also nicht nur gut Zusammenarbeit, Absprache und Kommunikation, miteinander, sondern vor allem auch Arbeitsteilung. Weder Familie noch PädagogInnen können jeweils alleine den Menschen das geben, was sie brauchen".

Zu dieser Klärung gehört die Verabredung einer Arbeitsteilung.

Was meint das?

  • "Eltern sind und bleiben Eltern! Ihre Stärke und ihre Bedeutung für ihre Tochter und ihren Sohn bestehen darin, dass sie als Bezugsperson verlässlich sind. Sie wechseln nicht wie das pädagogische Personal. Sie bieten emotionalen Rückhalt, und sie sind einfach da. Eltern können ihr ´Kind bevorzugen und es für die wichtigste Person halten und ihm das auch zeigen“. [26]
  • „Die professionellen BegleiterInnen können das nicht wirklich bieten. Sie können nie versprechen, ohne Vorbehalt und auf Dauer eine verlässliche Beziehung zu gewährleisten. (..) Profis haben andere Stärken: Sie können fördern und fordern, sie können neue Welten und Fähigkeiten erschließen, sie können mehr zutrauen und abverlangen. Sie können ganz anders konsequent sein als Eltern, soziales Verhalten einfordern und Menschen als Erwachsene ansprechen“. (ebd)


Bei gelungener Kooperation zwischen Familien und Heim gelingt folgendes (Klauss 2015, 32):

  • Gleiches Ziel (an)erkennen, wie Wohlbefinden, Selbständigkeit im Alltag, befriedigende Sozialbeziehungen, interessanter Alltag
  • Unterschiedliche Aufgaben (an)erkennen
  • Verabredete Arbeitsteilung: Sich auf die eigenen Stärken konzentrieren und diese einbringen
  • Um Konflikte zu vermeiden ergibt sich für Angehörige und Profis die Aufgabe, dass sie auch ihr Verhältnis zueinander klären und regeln müssen (vgl. ebd. 31)
  • Klären sie bei der Absprache der Arbeitsteilung was beide Seiten möglichst auf gleiche Art und Weise tun sollten und was nicht. Es darf Unterschiede geben!
  • Für Kinder die im Heim wohnen können sich durch Arbeitsteilung große Chancen ergeben: Wenn klar ist was zu Hause gilt und und was im Heim gilt, dann müssen Unterschiede nicht schwierig sein. Dem Kind werden dadurch unterschiedliche Welten ermöglicht. So wie sich jeder – je nach Rolle – anders verhält (Klauss 2015, 34).
  • Es kann hilfreich sein, den Wechsel der Welten deutlich zu machen. Z.B. die Kleidung zu wechseln, wenn man nach Hause fährt (Orientierungs-, Bezugspunkte und Rituale schaffen).

 

Und schließlich ... "ein alternatives  Konzept von Menschsein von Eva Feder Kittay (2002)".

Dabei beschreibt Kittay eine Situation mit ihrer Tochter Sesha:

" Ich möchte das Leben derer, die an sozialer Vernachlässigung und in unangemessene Institutionen zerbrechen, mit dem von Sesha vergleichen. Ich erinnere mich an einen Morgen in meiner Küche. Sesha frühstückt in Begleitung ihrer Betreuerin und ich schleiche mich an, um ihr einen Kuss zu geben. Sesha ist wie immer erfreut, mich zu sehen. In dem Bestreben, mir einen ihrer bestimmenden Küsse zu geben, versucht sie, mich an den Haaren zu packen, um mich an ihren Mund zu ziehen. Gleichzeitig kitzeln sie meine Küsse und sie muss so kichern und sich darauf zu konzentrieren, nicht das Marmelade-Toast fallen zu lassen, bevor sie nach meinen Haaren greift. Ich kann, den klebrigen Toast, das Haareziehen und den Mund mit Himbeermarmelade. In diesem charmanten Tanz, erleben Sesha und ich einige unserer schönsten Momente - lachen, ducken, packen, küssen. "


And final..
...an alternative conception of personhood (Eva Feder Kittay 2002):

"In a recent essay. I contrast the lives of those shatterd by inappropriate institutions and social neglect with tha of Sesha. I evoke a morning in my kitchen when Sesha, accompanied by her caregiver, is having breakfast, and I sneak in to give her a kiss:
Sesha, as always is delighted to see me. Anxious to give me one of her destinctive kisses she tries to grab my hair to pull me to her mouth. Yet at the same time my kisses tickle her and make her giggle toohard to concentrate on dropping the jam-coverd toast before going after my hair. I can, the sticky toast, the hair-pulling and the raspberry jam-coverd mouth. In this charming dance, Sesha an I experience some of our most joyful moments - laughing, ducking, grabbing, kissing."