Sexuelle Gesundheit
2. Individuelle Freiheit, Rechtssicherheit und Selbstbestimmung
2.1. Sexuelle Gesundheit
Bereits 1867 war die Sexualwissenschaft ein Thema in E.O.G. Willards Buch „Sexology as the Philosophy of Life“ (1). Heute ist die Sexualwissenschaft ein großes und umfangreiches Forschungsgebiet, das viele Themen abdeckt. Sexualität ist nicht nur ein Bedürfnis, das auf biologischen Faktoren basiert. Die Sexualwissenschaft untersucht Themen wie die Bedeutung der Sexualität, ihre Rolle im Leben des Einzelnen, den Zusammenhang zwischen Sexualität und Menschenrechten[HD1] , einschließlich der staatlichen Verantwortung für den Schutz und die Erfüllung sexueller Rechte.
Um zu verstehen, was sexuelle Gesundheit bedeutet, schlagen wir an dieser Stelle vor, sich das Modell über sexuelle Gesundheit (2) anzuschauen, das aus folgenden Komponenten besteht:
Grundkomponente,
Physiologische Komponente
Kognitive Komponente
Relationale Komponente
Persönliche Komponente
Jede Komponente ist wichtig, wenn Sie mit Ihrem Kind/dem Geschwisterkind/Klienten über sexuelle Gesundheit sprechen. Jede Komponente beeinflusst unsere Sexualität und kann therapeutisch beeinflusst werden (2).
Abb. 1: Modell der sexuellen Gesundheit (2).
Die Grundkomponente (Abb. 1) beinhaltet das biologische Geschlecht (XX oder XY). Die physiologische Komponente umfasst die Sinne wie Sehen, Hören, Riechen und Schmecken sowie die physiologischen und medizinischen Bedingungen im Körper. Die kognitive Komponente umfasst Gedanken, Wissen, Unwissenheit und die Fantasie bei der Sexualität von Männern und Frauen. Die persönliche Komponente beinhaltet die Geschlechtsidentität; in welcher Weise wir uns als Geschlecht fühlen, männlich und weiblich. Sexuelles Verlangen, Fantasien und Wünsche sind ebenfalls Teil der persönlichen Komponente. Die relationale Komponente beinhaltet Präsenz; wie wir in einer sexuellen Situation handeln und kommunizieren, wie wir andere berühren, verführen, miteinander reden, usw. (2).
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert den Begriff der Sexualität[HD1] mit dem Fokus auf sexuelle Gesundheit[HD2] und sexuelle Rechte. Die Definition von sexueller Gesundheit beinhaltet einen umfassenden und integrierten Ansatz für Sexualität, Beziehungen und sexuelle Erfahrungen. Die Notwendigkeit, die sexuellen Rechte[HD3] als Mittel zur Erreichung des Wohlbefindens zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen, wird hervorgehoben (3). Heute gibt es zudem eine Weltvereinigung für sexuelle Gesundheit (WAS), die unter anderem eine Erklärung der sexuellen Rechte[HD4] entwickelt hat (4).
Der Blick der Gesellschaft auf die Sexualität beeinflusst, wie Menschen sich selbst und andere wahrnehmen. Z.B. ist Sexualität in den Medien eng mit Jugend, Schönheit und Erfolg verbunden. Solche "medial erfassten Stereotypen" erschweren die Akzeptanz von Sexualität für diejenigen, die nicht in diesen "Rahmen" passen. So wird beispielsweise hinterfragt, ob Menschen mit geistiger Behinderung Sexualität haben und ob sie die Möglichkeit haben sollten, sexuell aktiv[HD5] zu sein. Das Verständnis über die sexuelle Orientierung eröffnet die Möglichkeit, sexuelle Aktivitäten auf vielfältige Weise auszudrücken. Basierend auf diesem Verständnis sind Menschen mit geistiger Behinderung Sexualpersonen, die Sexualität wie andere Menschen erleben. Menschen haben Sex[HD6] nicht nur für die Fortpflanzung, sondern auch, weil er zu einer guten Lebensqualität beiträgt. Der Mensch wird als Sexualwesen geboren, und jeder Mensch durchläuft eine persönliche sexuelle Entwicklung (5).
„Kohabitation[HD7] und Sexualität“ ist für die meisten von uns ein vertrautes Thema. Freunde, Liebende, Fürsorge, Emotionen, Wissen über den eigenen Körper, Verhütung, Flirten, Masturbation, Geschlechtsverkehr und so weiter, sind Themen, denen wir in unserem Leben begegnen. Darüber hinaus müssen wir uns mit Themen wie Normen, Regeln, Gesetzen, Ethik, sexuellen Abweichungen und technischen Hilfsmitteln befassen. So sind z.B. Menschen mit geistiger Behinderung aufgrund von kognitiven Schwierigkeiten gefährdet (6) und brauchen Rechtssicherheit, um sich vor Missbrauch oder Willkür der Behörden schützen zu können.
Eltern haben in der Regel engen Kontakt zu ihren Kindern und Jugendlichen. Dennoch kann es schwierig sein, über Autonomie und Sexualität zu sprechen. Dafür gibt es mehrere Gründe. Der Mangel an Selbstvertrauen und Offenheit kann darauf zurückzuführen sein, dass das Kind die Worte nicht versteht oder kennt. Auch Geschlecht, Alter, Erziehung, ethnische Herkunft, Religion und soziale Harmonie können Gespräche zwischen Eltern und Kindern beeinflussen. Auch der Grad der Behinderung kann von Relevanz sein, ebenso wie sichtbar eine Behinderung ist. Menschen mit Behinderungen haben ein natürliches Recht auf Teilhabe am Alltag und an der Gesellschaft. Selbstbestimmung ist ein Menschenrecht, das es uns ermöglicht, die Voraussetzungen für unser Leben und unsere Sexualität zu schaffen. Mehr zu diesem Thema erfahren Sie im Modul Menschenrechte[HD8] .
Erfahrungen zeigen, dass Eltern und Betreuer die Sexualität bei Menschen mit geistiger Behinderung oft vernachlässigen (6). Bei einigen Menschen mit geistiger Behinderung kann es einen Zusammenhang zwischen mangelnder Aufmerksamkeit für Geschlecht und Sexualität und der Entwicklung von herausforderndem Verhalten geben. Es gibt auch Meinungen, wonach die sexuellen Bedürfnisse einer Person Auslöser für herausforderndes Verhalten sind (7). Darüber hinaus kann das fehlende Wissen über den Zusammenhang zwischen herausforderndem Verhalten und Sexualität zu Missverständnissen in der Interaktion zwischen Eltern und Kindern sowie zwischen Dienstleistern und Leistungsempfängern führen (7: 434).
AUFGABEN:
Wenn Sie sich die öffentlichen Diskussionen in Ihrem Land ansehen, denken Sie, dass Sexualität bei Menschen mit geistiger Behinderung als Menschenrecht gesehen wird?
Inwiefern beeinflusst Ihrer Meinung nach Ihre eigene Akzeptanz von Sexualität die Sexualität Ihres Kindes/Ihres Geschwisterkindes/ihres Klienten/Ihrer Klientin?
Wenn Sie Ihr Kind/Ihr Geschwisterkind/Ihren Klienten/Ihre Klientin nicht als sexuelle Person akzeptieren, was ist der Grund dafür?