Erwachsenwerden
2. Mein Kind verstehen
2.2. Adoleszenz verstehen
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Der Begriff 'Adoleszenz' meint den geistigen Reifeprozess nach der Pubertät. In
dieser Phase ist der Heranwachsende mit verschieden Entwicklungsaufgaben konfrontiert.
Mit der Beantwortung folgender drei Fragen möchten wir den zentralen Entwicklungsaufgaben und dem Begriff ´Adoleszenz' näher kommen:
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Wie entwickelt sich eine eigene Identität? (2.2.1)
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Wie entwickeln die Heranwachsende eine eigene Zukunft? (2.2.2.)
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Wie werden junge Menschen unabhängig und eigenständig? (2.2.3.)
„Die Adoleszenz ist
eine Lebensphase des Umbruchs, in der die Jugendlichen mit ihren körperlichen
Veränderungen fertig werden müssen, sich von den Eltern loslösen, neue Beziehungen
zu Gleichaltrigen aufbauen, ihre sexuellen Bedürfnisse integrieren und eine
neue soziale und erste berufliche Identität entwickeln“ [4].
2.2.1. Entwicklung einer eigenen Identität - Wie entwickelt sich eine eigene Identiät?
„Ist der pubertäre Prozess (Identitätssuche) abgeschlossen – in der Adoleszenz setzt er sich in abgemilderter Form fort - , so beginnen im jungen Erwachsenenalter die selbstständige Lebensführung und die schrittweise konstruktive Integration in die Gesellschaft, die sich unter anderem durch die vielfältige Gestaltung selbstgewählter Beziehungen auszeichnet“ [5]
Festzustellen „Ich bin ein eigener Mensch“ ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg zum Erwachsen Sein. Auf der psychologischen Ebene richtet sich die eigene Orientierung nicht mehr vorrangig an Werten und Lebensweise der Eltern, sondern an Menschen und Dingen außerhalb der Familie aus. Die Idole der Kindheit weichen den Stars und Sternchen aus den Medien, Frisuren und Aussehen werden ausgiebig mit denen von Freunden und Klassenkameraden verglichen. Die Eltern werden immer wieder in Frage gestellt.
Auf der kulturellen Ebene entwickelt sich ein persönlicher Lebensstil, der sich oft grundlegend von dem der Eltern unterscheidet. Es ist möglich, dass von einem Tag auf den anderen das rosa Mädchenzimmer einer schwarzen Höhle weicht oder der Musikgeschmack sich völlig ändert.
Siehe auch "Identität" im Modul "sexuelle Gesundheit".
2.2.2. Entwicklung einer Lebensperspektive - Wie entwickeln die Heranwachsende eine eigene Zukunft?
Die eigene Lebensplanung und die Perspektiven für das weitere Leben gehören zu den Dingen, die sich im Laufe der Kindheit noch häufig ändern. Die Berufswünsche variieren von Lokführer bis Astronaut. In der Adoleszenz müssen die Pläne konkret werden. Im Laufe der Zeit entwickelt eine eigene intellektuelle und soziale Kompetenz, die ihm ermöglicht, selbstverantwortlich schulischen und später beruflichen Qualifikationen nachzukommen.
In der Biografieplanung von Jugendlichen ist festzustellen, dass für sie auch heute noch Berufswahl und Familiengründung einen hohen Stellenwert haben. [6]
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Arbeit und Beruf
Wenn das Ende der Schulausbildung näher kommt, wird das Thema Berufswahl immer wichtiger. Der Wunsch ist auf der materiellen Ebene eine finanzielle und wirtschaftliche Selbständigkeit und damit die finanzielle Unabhängigkeit vom Elternhaus. Der Fokus liegt unter anderem im Verdienst und in den Karrieremöglichkeiten. Die Jugendlichen bewerten die eigenen Berufswünsche und die Vorschläge, die ihnen von Eltern und Lehrern gegeben werden, auf ihre Realisierbarkeit und die gesellschaftliche Akzeptanz. [7]
Bei der Wahlentscheidung kommt sowohl den Eltern als auch Freunden eine orientierende Funktion zu. Es besteht ein starker Wunsch nach mehr Information und praktischen Erfahrungen im Vorfeld der Berufsentscheidungen.
Wohnen
Der nächste Entwicklungsschritt ist die räumliche Trennung von den Eltern, die erste eigene Wohnung. Dieser Schritt erfolgt aufgrund langwierige Ausbildungen und den Schwierigkeiten, eine Arbeitsstelle zu finden, häufig erst später im Lebenslauf. Zudem halten die jungen Erwachsenen es heute sehr viel länger im elterlichen Haushalt aus wie früher. Dies mag ökonomische Gründe haben, weil Wohnungen rar und teuer sind. Es kann auch sein, dass die Notwendigkeit eines frühen Auszuges nicht mehr so gesehen wird.
Familie
Die eigene Familiengründung wird ebenfalls häufig auf später verschoben und statt dessen zunächst die Karriere verfolgt [8]. Eine eigene Familie sehen sie als sozialen Rückzugsort. Auch wenn die Familiengründung heute in der Lebensplanung weiter nach hinten geschoben wird, ist sie immer noch ein angestrebtes Ziel. Solange keine eigene Familie existiert, bleiben die Eltern meist der erste Anlaufpunkt in Krisenzeiten.[9]
Freundschaften, Peergroup (Clique) und Beziehungen
Zu anderen Menschen und zu einer Gruppe dazu zugehören und sich als Teil der Gesellschaft zu verstehen, spielt für die Entwicklung des Selbstbildes und für das Wohlbefinden eine wichtige Rolle. In der Adoleszenz werden die Beziehungen zu Freunden immer wichtiger. Die Beziehungen zu Gleichaltrigen erfüllen verschiedene wichtige Funktionen:
Man kann nicht nur im geschützten Rahmen verschiedene Rollen und „Identitäten“ auszuprobieren, die Peergruppe ist auch ein unersetzbares Übungsfeld, um Prinzipien der Gegenseitigkeit einzuüben, wie das Aushandeln oder das Teilen von Meinungen. Dadurch können, unabhängig von den Eltern, eigene Werte entstehen – eine wichtige Entwicklungsaufgabe.
Ferner erfahren die jungen Leute bei Freunden Bestätigung und Geborgenheit, sowie Rückhalt bei Konflikten mit Eltern und Schule. Durch den Rückhalt in der peer-group wird die emotionale Ablösung von den Eltern erleichtert. Die Freunde helfen bei der Loslösung und bei der Suche nach einem eigenen Lebensstil. Häufig stellt sich im Konfliktfall der Jugendliche gegen die Eltern, die Anerkennung seiner Freunde und die Zugehörigkeit zur Gruppe ist ihm wichtiger. Dass die Normen und die Bewunderung der peer-group wichtiger sind als der Geschmack der Eltern, kann jeder nachvollziehen, der bereits mit einem Teenager über den angesagten Kleiderstil diskutiert hat. [10]
Ein weiterer wichtige Aufgabe auf dem Weg zur Persönlichkeit ist die Auseinandersetzung mit dem Rollenverständnis als Mann oder Frau: Das was in der Gruppe als geschlechtstypisch gilt, bestimmt den Rahmen der persönlichen Entwicklung [11] Wie sich Freunde im Umgang mit dem anderen Geschlecht verhalten, was ältere Gruppenmitglieder tun und was die Eltern vorgelebt haben, sind die Vorbilder an denen sich das Rollenverständnis des jungen Menschen orientiert.
In der Clique werden alle für die Gruppe interessanten
Themen diskutiert. Natürlich auch die Berufswahl. Es kann bei einem strikten
Rollenverständnis sein, dass von der Gruppe Druck ausgeübt wird, wenn ein
junger Mann eine geschlechtsuntypische Tätigkeit ausüben möchte. Es erfordert
dann eine stabile Persönlichkeit und Unterstützung von den Eltern um bei den
eigenen Plänen zu bleiben. In wichtigen Lebensfragen bleiben die Eltern bei
einer stabilen Beziehung immer die Ansprechpartner und Unterstützer. [12]
Die zunächst häufige Schwarz-Weiß-Sicht wird im Laufe der Adoleszenz gemäßigt. Die Fähigkeit auch Gegenargumente zu berücksichtigen und sich ein differenziertes Urteil zu bilden nimmt mit der geistigen Reife zu. Ein Heranwachsender, der sich in Diskussionen mit anderen auseinandersetzen kann, widersprüchliche Aussagen reflektieren und seine eigene Meinung vertreten, hat einen großen Schritt zur eigenen Persönlichkeit geschafft.
Eine weitere wichtige Aufgabe ist das Erlernen der
„Beziehungsfähigkeit“, z.B. „Wie trete ich in Kontakt mit anderen Menschen und
beginne eine Beziehung?“, „Wie halte ich Freundschaften aufrecht?“, „Wie eng
möchte ich den Kontakt?“, „Wie gehe ich mit Abbrüchen um?“ Nur in diesem Feld
können versciedene Grade der Intimität un der Freundschaft gelernt werden. [13]
2.2.4. Entwicklung von Unabhängigkeit und Selbständigkeit - Wie entwickelt sich Autonomie?
Die Entwicklung zur Selbstständigkeit beginnt mit ersten Alleingänge des Kindes. Für die ganz kleinen, ein Spielnachmittag ohne Eltern bei Freunden. Das eigene Taschengeld für eigene Wünsche ausgeben. Für die größeren weitet sich dies aus zu Übernachtungen bei der besten Freundin, Wochenenden mit der Clique und dem ersten Urlaub allein ohne Aufsichtspersonen. Die Jugendlichen bereiten sich auf das eigene Leben vor.
Eine wesentliche Entwicklungsaufgabe besteht darin, den schulischen und beruflichen Herausforderungen in wachsendem Maße in Selbstverantwortung nachzugehen. Je mehr Aufgaben erfolgreich gemeistert werden, umso stärker kann sich das Selbstbewusstsein ausbilden.
Folgende Prozesse lassen sich als zentral für die "Entwicklung der psychischen Eigenständigkeit " zusammenfassen (Stroß 1994, 409ff):
- Ablösung von den Eltern
- Weiterentwicklung der eigenen Identität
- Moral- und Wertvorstellungen aufbauen und entsprechend handeln
- Entwicklung und Stabilisierung von Verhaltens-, Denk, und
Erlebensformen und die Auseinandersetzung mit dem eigenen Alter
- Zukunftsperspektive entwickeln mit dem Ziel, materiell eigenständig zu werden und einen Beruf auszuüben
- Übernahme erwachsener sozialer Rollen, u.a. durch Berufstätigkeit, Partnerwahl und Partnerschaft, Ehe und Elternschaft