Erwachsenwerden
3. Mein Kind unterstützen
3.3. Bei der Selbstständigkeit
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In diesem Kapitel bekommen Sie Anregungen, wie sie Ihr Kind
bei der Verselbständigungsphase unterstützen können. Folgende Punkte werden wir näher beleuchten:
- Stärken fördern (3.3.1.)
- Neue Lernfelder finden (3.3.2.)
- Zutrauen externer Personen in das Kind nutzen (3.3.3.)
Übung: “Aktivitäten-Karten erstellen”
a.) Bestimmen Sie gemeinsam mit ihrem Kind eine Haushalts-Aufgabe, die ihr Kind erlernen oder übernehmen soll.
b.) Kreieren gemeinsam eine Aktivitäten-Karte für die Haushaltsaufgabe, um vor das "Training" gerüstet zu sein. Ein Beispiel für eine Karte gibt es hier: Badezimmer reinigen
3.3.1. Stärken fördern
Jugendliche brauchen ein starkes Selbstwertgefühl!
„Üblicherweise tragen ein gutes Aussehen, sportliche Aktivitäten und Freunde zu einem guten Selbstwertgefühl bei. Junge Menschen mit Behinderung müssen ihre Stärken kennen und gleichzeitig mit ihren Schwächen zurechtkommen, zum Beispiel mit einem Erscheinungsbild, das möglicherweise nicht dem konventionellen Schönheitsideal entspricht. Letztendlich müssen sie mehr können als andere und akzeptieren anders zu sein und sich dennoch zu mögen.“ [18]
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Um Stärken entwickeln zu können, brauchen Kinder mit einer schweren Behinderung Unterstützung. Dabei ist es wichtig, auf die individuelle Situation des Kindes einzugehen und ein ausgewogenes Verhältnis zwischen Fördern und Fordern zu finden. Hier haben sich teilweise für bestimmte Behinderungsformen spezielle Förderansätze entwickelt. z. B. das TEACCH-Konzept bei autistischen Störungen.
Der Trend in Psychologie und Pädagogik – weg von den Mängeln hin zu Stärken – kommt in verschiedenen Konzepten und Ansätze zum Tragen, wie dem Salutogenese- und Resilienzkonzept, und haben zu einer ressourcenorientierten Haltung geführt.
Unter Ressourcen versteht man:
„Faktoren, die den Menschen
in einer Situation stärken können! Sie können sowohl in der Person selbst
angelegt sein (personale Ressourcen) als auch durch die Umwelt an die Person
herangetragen werden (Umweltressourcen). Sind Ressourcen ausgeprägt, unterstützen
sie die Entwicklung des Menschen – auch indem sie Defizite und Entwicklungsstörungen
kompensieren.“ [19]
Jeder besitzt Stärken!
Bei manchen sind sie intensiv ausgeprägt, bei anderen weniger. In manchen „schlummern“ die weichen Faktoren und sind noch unentdeckt. Spricht man Menschen auf Ihre Stärken an, haben diese oftmals keine klare und überzeugende Antwort parat und müssen erst einmal lange nachdenken. Wie also wollen Sie Ihre Stärken nutzen, wenn Sie sich dieser nicht bewusst sind? Indem man sich auf die Suche begibt. Werden Sie zum Schatzsucher:
- Machen Sie es sich zur Aufgabe, Stärken und Fähigkeiten der
Kinder ausfindig zu machen und zu nutzen. Hilfreiche
Fragen sind: Was kann ihr Kind richtig gut? Was fällt ihm sehr leicht? Hat es
besondere Fertigkeiten?
- Integrieren Sie Ihre Familie, Freunde und Bekannten. Denn gerade auch deren Meinung von „außen“ ist von großer Bedeutung und eröffnet neue Blickwinkel!
- Entscheidend ist, daß Sie sich die Stärken immer wieder bewusst werden, sie trainieren und vor allem aktiv einsetzen. Wie bei jedem Training macht auch hier die Übung den „Meister“.
- Seien sie kreativ und visualisieren die Stärken, z. B. durch eine Collage, oder sammeln die Stärken und Ressourcen in einer Schatzkiste, die bei Bedarf geholt werden kann.
- Vergleichen Sie ihr Kind bei der Förderung weniger mit anderen Kindern, sondern betrachten Sie es in seiner Subjektivität! Sie können die Entwicklung am besten verfolgen, indem Sie regelmäßig kleine Förderpläne und Förderberichte erstellen.
- Jeder Mensch hat Ressourcen, die mehr oder weniger aktiviert sind, die zur Bewältigung von Lebenssituationen zur Verfügung stehen! [20]
- Fördern Sie Begabungen, weil unsere Erfolgserwartung, davon beeinflusst wird, wie sehr wir an unsere Stärken glauben! [21]
- Suchen Sie nach Rollenmodellen und Vorbilder für einen guten Umgang mit Behinderungen im Erwachsenalter! – Vorbilder, Idole, Zitate inspirieren, motivieren und können unser Handeln in eine gewünschte Richtung lenken. Imitation gehört zu den 3 großen Arten des Lernens! "Vorbilder zeigen dir, dass das, was du in deinem Kopf noch für unmöglich hältst, im wahren Leben schon längst Wirklichkeit ist."
Für den Heranwachsenden kann es zu einer sehr frustrierenden
Situation werden, wenn ihnen die Chancen Selbständigkeit zu üben fehlen. [22]
Machen Sie sich bewußt: Wenn sie ihr Kind zu mehr Eigenständigkeit ermutigen, bedeutet das nicht, dass sie das Kind aufgeben oder es im Stich lassen. [23]
Wie können Jugendliche (im Kleinen) Erfahrungen machen, auf
eigenen Beinen zu stehen – auch mit Unterstützung anderer Personen – aber so,
dass sie selbst dabei „im Zentrum“ sind?
Anreize dafür schaffen! [24]
3.3.2. Neue Lernfelder finden
„Es ist tatsächlich so, dass sich die Eltern von Menschen mit Behinderung auf einmal mit Wünschen konfrontiert sehen, zum Beispiel dem Erlangen des Führerscheins, die nicht unbedingt realisierbar sind. Ich betone «nicht unbedingt», denn es existiert keine Regel dazu: Schon häufig haben mich Jugendliche mit Behinderung durch ihre Fähigkeiten beeindruckt. Selbst wenn die Aussichten auf Erfolg gering sind, ist es nicht gut, wenn man seinem Kind um jeden Preis eine Enttäuschung ersparen will, indem man verhindert, dass es etwas ausprobiert. Ich greife auf das Beispiel Führerschein zurück: Ich kenne Eltern, die ihr Kind eine Fahrstunde absolvieren ließen. Es endete mit einem Misserfolg, doch immerhin haben sie ihrem Kind die Chance gegeben, es zu versuchen.“[25]
Lernen findet unbewusst in vielen alltäglichen Lebenssituationen statt. Erfahrungswissen, Experimentieren, Ausprobieren, Informationen aufnehmen und anwenden – hinter all diesen Tätigkeiten verbirgt sich ein Lernprozess. Lernen bedeutet Informationen zu teilen, zu kreieren, zu diskutieren und zu verknüpfen. Lernen bedeutet aktiv zu werden bzw. zu sein. Es setzt Neugier und Motivation beim Einzelnen voraus.
Ziel allen Lernens ist eine verbesserte Lebensqualität durch erweiterte Handlungsfähigkeit in gesellschaftlichem, beruflichem und privatem Kontext. Lernen ist ein lebenslanger, lebendiger Prozess, der zu einem reflektierten Verhältnis zu sich selbst, zu anderen und der Welt führt. [26]
"Neue Herausforderungen - im Alltag Versorgungslücken schaffen"
- Bieten Sie nicht mehr automatisch die „Rundumversorgung“ an!
Ihre Kinder brauchen Widerstände. Sie dürfen nicht automatisch alles bekommen. Um
Verantwortungsübernahme zu erlernen ist es wichtig, dass sich Ihre Kinder etwas
selbst erarbeiten müssen. [27]
- Haben Sie Ideen, wo Sie Versorgungslücken in den Tagesablauf einbauen können? Beispiele: Pausenbrot selbst zu bereiten, die Kleidung selbst zusammenstellen, ohne Weckdienst aufstehen, auch wenn die Karotte nicht perfekt geschnitten ist, Übung macht den Meister!
- Mehr Selbständigkeit oder Erfolgserlebnisse können Anreize für
die Erledigung der Aufgaben sein. Kinder, die viele Probleme selbst lösen
mussten sind erwiesenermaßen glücklicher! [28]
- Um Erfolgserlebnisse zu ermöglichen ist es wichtig Herausforderungen zu stellen und Aufgaben übertragen die zunächst gut zu erledigen und kleinschrittig sind.
- Durch die Aufgaben wird deutlich, was ihr Kind kann und was nicht, wo ihre Entwicklungsmöglichkeiten und wo ihre - auch behinderungsbedingten – Grenzen liegen.
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"Bildungsangebote wahrnehmen!"
Bildungsangebote helfen, sich den Anforderungen des Lebens
anzupassen.
Erwachsenenbildung hat in Bezug auf Menschen mit Behinderung die
Aufgabe neue Erfahrungen zu ermöglichen und Erfahrungen zu verarbeiten [29]
Wissen zu vermitteln und Hilfestellung zur Selbstbestimmung und
Lebensgestaltung zu geben [30]
.
Informationen sind wichtig, um
Entscheidungen treffen zu können.
Gerade bei Menschen mit Behinderungen ist häufig
zu beobachten, dass sie Probleme beim Treffen von Entscheidungen haben, da
ihnen in der Vergangenheit selten Wahlmöglichkeiten gegeben wurden. Ein
weitgehend selbstbestimmtes Leben beinhaltet aber, dass immer wieder
Entscheidungen mit mehr oder weniger weitreichenden Folgen getroffen werden müssen,
z.B. die Entscheidung für einen
Arbeitsplatz. [31]
- Eltern sollten den Jugendlichen ermutigen, eigene Interessen zu entdecken und nachzugehen oder auf die Veränderungen des Alltags aktiv zu reagieren.
- Ermöglichen Sie die Teilnahme an Bildungsangeboten
3.3.3. Zutrauen externer Personen in das Kind nutzen
Externe Unterstützung in der Adoleszenz hat viele Facetten. Sie hilft den Jugendlichen, Erfahrungen unabhängig von den Eltern z.B. in der
peer-group zu machen (Kapitel 2.3.5.). Sie hilft Ihnen als Eltern aber auch beim „Loslassen“
und der Entwicklung einer neuen Beziehung zu Ihrem Kind.
Das Selbstvertrauen Ihres Kindes wird gestärkt durch Überwindung, Mut und Zutrauen. Umso öfter ihrem Kind die Möglichkeit gegeben wird sich auszuprobieren (Erfahrungsräume) und Dinge zu meistern, desto besser lernt es mit Frust umzugehen und Selbstsicherheit wird zunehmen. [32] Immer wieder machen die Eltern die Erfahrung, dass Dinge lange geübt werden, aber erst mit einer externen Person funktionieren. [33]
Das Zutrauen durch externe Personen hat den Vorteil, dass Routinen unterbrochen werden. Bereits kleine Veränderungen im Ablauf können ein Umdenken und neues Verhalten fordern. Losgelöst vom Bindungs- und Abhängigkeitscharkater findet eine „andere“ Auseinandersetzung mit der Person und seinen Stärken und Schwächen statt.
Wie Sie Ihr Kind hier unterstützen können:
- Gibt es Aufgaben und Rollen, die an andere Familienmitglieder und Personen übertragen werden können?
- Wichtig ist, dass diese anderen Unterstützungspersonen Experimentieren unterstützen. So entstehen neue Entwicklungsräume.
- Fragen Sie sich welche Bereiche Ihrer Unterstützungsaufgaben
können an externe Unterstützer oder Angebote ausgelagert werden?