Altern

5. Lebensende

5.2. 13 Richtlinien hinsichtlich einer guten Pflege am Lebensende

In diesem Abschnitt stellen wir die „Konsensnormen für die Palliativbehandlung von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung in Europa“ vor (1: 6-12)

AKTIVITÄTEN:

Lesen Sie die Normen und wählen Sie die Passagen aus, die auf die Situation Ihres Kindes / Geschwisterteils/ Klienten zutreffen.
Verwenden Sie die von Ihnen erstellte Liste und fragen Sie sich: Wie kann man dies in meinem Land umsetzen?

1. Gleichberechtigter Zugang

1a - Personen mit intellektueller Beeinträchtigung sollten gleichberechtigt Zugang zu den in ihrem Land verfügbaren Palliativpflegediensten und Unterstützungsleistungen haben.

1b - Dienstleistungen und Fachkräfte, die beeinträchtigte Menschen in ihrem täglichen Leben unterstützen, sollten sicherstellen, dass sie bei Bedarf gleichen Zugang zu verfügbaren Palliativpflegediensten haben, indem sie sie auf solche Dienste hinweisen.

1c - Die Sicherstellung der Gleichberechtigung des Zugangs kann bedeuten, Änderungen an den angebotenen Diensten vornehmen zu müssen. Palliativpflegedienste sollten die erforderlichen Anpassungen vornehmen, damit beeinträchtigte Menschen auf deren Dienste und Unterstützung zurückgreifen können.

2. Kommunikation

2a - Beeinträchtigte Personen mögen möglicherweise besondere Anforderungen an eine Kommunikation haben. Diese Bedürfnisse sollten erkannt und auf sie Rücksicht genommen werden.

2b -Berufstätige und Betreuungskräfte sind dafür verantwortlich, die Kommunikation von und mit beeinträchtigten Menschen zu verstehen und sich dahingehend ausbilden zu lassen.

2c - Beeinträchtigte Menschen sollten unterstützt werden ihre Bedürfnisse bestmöglich ausdrücken zu können, sei es verbal oder nonverbal.

3. Erkennen der Notwendigkeit einer Palliativpflege

3a - Alle Mitarbeiter der Gesundheitsberufe und der Sozialfürsorge, die sich um beeinträchtigte Menschen kümmern, müssen erkennen können, wann Palliativpflege erforderlich ist: Zuhause, in einer Wohneinrichtung oder in Einzel- oder Wohngemeinschaften. Sie müssen auf die Anzeichen und Symptome einer schweren Krankheit, das Lebensende und die Sterbephase achten.

3b - Wenn ein Bedarf an Palliativpflege erkannt wird, ist ein persönlicher Pflegeplan zu erstellen, um eine Palliativpflege einleiten zu können.

4. Bewertung des Gesamtbedarfs

4a - Die Bedürfnisse von Menschen mit intellektueller Beeinträchtigung am Lebensende umfassen körperliche, emotionale, soziale und spirituelle Bedürfnisse, ähnlich denen der übrigen Bevölkerung.

4b - Alle körperlichen, psychologischen, sozialen und spirituellen Bedürfnisse sollten erfasst, dokumentiert, angesprochen, ausgewertet und überprüft werden.

4c - Beeinträchtigte Menschen mögen aufgrund ihrer Beeinträchtigung möglicherweise zusätzliche und besondere palliative Bedürfnisse hinsichtlich ihrer Betreuung haben. Dies sollte anerkannt werden und Berücksichtigung finden.

4d - Beeinträchtigte Personen sollten einen gleichberechtigten bedarfsgerechten Zugang zu Unterstützungsleistungen erhalten können. Dies beinhaltet den Zugang zu maßgeschneiderten Beratungsdiensten, Unterstützung bei der Aufrechterhaltung von Sozialkontakten, einschließlich der Kontakte zu Freunden, die möglicherweise selbst Unterstützung benötigen.

5. Vorgehen bei und Umgang mit Symptomen

5a - Das Vorgehen bei Symptomen im Zusammenhang mit dem Lebensende ist von größter Bedeutung.

5b - Die Beurteilung von Schmerz und anderen Symptomen kann bei beeinträchtigten Menschen schwieriger sein. Symptome können verkleidet oder auf unkonventionelle Weise zum Ausdruck gebracht werden, beispielsweise durch Verhaltensänderungen (einschließlich Verhalten, das als „herausfordernd“ bezeichnet wird) oder durch Rückzug.

5c - Die Fachleute sollten sich der Möglichkeit einer „symptomatische Überschattung“ bewusst sein, bei der die Symptome körperlicher Erkrankungen auf das Vorhandensein einer intellektuellen Beeinträchtigung zurückzuführen sind und daher nicht "behandelt"  oder "gemanagt" werden können.

5d - Diejenigen, die am Ende des Lebens einen beeinträchtigte Menschen pflegen (unabhängig davon, ob es sich um professionelles, ungeschultes Pflegepersonal oder um Familien handelt), sollten beim Erkennen von Symptomen, einschließlich Schmerzen, unterstützt werden.

5e - Medizinisches Fachpersonal sollte sich bewusst sein, dass das Symptom-Management von beeinträchtigten Menschen aufgrund von Komorbiditäten komplexer sein kann.

5f - Die Zusammenarbeit zwischen denjenigen, die die Person gut kennen, und denen, die Experten für Symptom-Management sind, ist entscheidend, um ein angemessenes Symptom-Management für beeinträchtigte Menschen gewährleisten zu können.

6. Entscheidungen am Lebensende

6a - Entscheidungsfindungen am Lebensende sind komplex, unabhängig davon, ob die Person behindert ist oder nicht.

6b - Beeinträchtigte Menschen haben ein Recht auf Leben und ein Recht auf Anerkennung des Wertes ihres Lebens.

6c - Die rechtlichen Rahmenbedingungen bezüglich Kompetenzen und Entscheidungsfindung variieren. Fachleute sollten die nationalen und lokalen Gesetze und Bestimmungen kennen und diese einhalten.

6d - Beeinträchtigte Menschen sollte zugesprochen werden, dass sie in der Lage sind, Entscheidungen bezüglich ihrer Pflege und Behandlung selbst zu treffen, sofern dem nicht andere Kenntnisse entgegenstehen.

6e - Beeinträchtigte Menschen sollten alle notwendige Unterstützung einschließlich eines Beistands erhalten, um ihnen eine Beteiligung an Entscheidungen zu ermöglichen.

7. Immer mit dabei, diejenigen, die wichtig sind: Familien, Freunde und Betreuer

7a - Die wichtigen Beziehungen („signifikante andere“) von beeinträchtigten Menschen sollten als solche erkannt werden. Dies kann die Familie, Partner, Freunde, Betreuer (einschließlich bezahlter Pflegekräfte) und andere umfassen. Beeinträchtigte Menschen sollten bei der Auswahl beteiligen können.

7b - Die ausgewählten Personen sollten - wenn gewünscht - ermutigt werden, sich so weit wie möglich zu beteiligen.

7c - Nahestehende Personen kennen die/den Beinträchtigte/n wahrscheinlich am besten. Für viele (aber nicht für alle) intelektuell Beeinträchtigte ist dies ihre Familie, welche sie oft über Jahre gepflegt haben. Fachleute sollten die Pflegepersonen respektieren und als kompetente Pflegepartner einbeziehen.

7d - Für beeinträchtigte Menschen können Familienbindungen am Lebensende von entscheidender Bedeutung sein. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn diese Bindungen durch mangelnden Kontakt unterbrochen wurden.

7e - Wichtige Familienbindungen, die für die Person mit Ausweis wichtig sind, sollten von Fachleuten und Pflegepersonal anerkannt und respektiert werden.

7f - Beeinträchtigte Personen sollten nachgefragt werden, ob sie es wünschen, dass ihre Familien am Lebensende einbezogen werden, Wünsche sollten respektiert werden.

8. Zusammenarbeit

8a - Die Zusammenarbeit zwischen Dienstleistern ist der Schlüssel für ein erfolgreiches palliativmedizinisches Setting.

8b - Jeder (und jede Dienstleistung), der sich qualifiziert am Lebensende mit einbringen könnte, sollte so früh wie möglich angesprochen und bei Bedarf einbezogen werden. Dies können Dienstleister, bezahlte Pflegekräfte, nonformale (Familien-) Pflegepersonen und Vertreter von Religionsgemeinschaften sein.

8c - Es ist von entscheidender Bedeutung, dass beeinträchtigte Menschen Zugang zu medizinischen und pflegerischen Fachdiensten haben, einschließlich Unterstützung und Rat von Experten der Palliativpflege, falls erforderlich.

8d - Alle diese Personen und Dienstleister sollten zusammenarbeiten und ihr Fachwissen austauschen, wenn dies für die Person mit Ausweis erforderlich ist.

9. Unterstützung für Familien und Betreuer

9a - Familien und Pflegende (einschließlich bezahlter / professioneller Pflegekräfte) sind oft schwer getroffen, wenn ein beeinträchtigter Mensch sein Lebensende erreicht. Sie sollten in ihrer fürsorglichen Rolle unterstützt werden.

9b - Viele beeinträchtige Menschen, auch Schwerst- und/oder Mehrfachbehinderte, bilden den Lebensmittelpunkt ihrer Familien und Pflegekräfte. Der Tod eines solchen Menschen ist häufig ein erheblicher und schwieriger Verlust für die Hinterbliebenen.

9c - Dieser Verlust sollte von anderen gesehen und Unterstützung geboten werden.

9d - Von professionellen Betreuern wird möglicherweise keine Trauer erwartet, sie haben jedoch oft tiefe Bindungen zu den von ihnen betreuten Personen. Auch sie sollten bei einem Verlust unterstützt werden, einschließlich einer Ausbildung im Umgang mit Tod.

10. Vorbereitung auf den Tod

10a - Es sollten Wege gesucht werden beeinträchtigte Menschen in eine Vorsorgeplanung einzubinden, sofern dies angemessen und erwünscht ist. Ein Teil davon sind Diskussionen und ein -Aufzeigen von Wahlmöglichkeiten hinsichtlich persönlicher Präferenzen für eine Pflege am Lebensende, Bestattungswünsche und Testamente.

10b - Solche Gespräche sollten frühestmöglich stattfinden, also am besten, bevor ein Bedarf an Palliativpflege entsteht.

10c - Sobald der Bedarf an Palliativmedizin erkannt wurde, sollten Pflegende und Fachkräfte einen Pflegeplan aufstellen, der einen künftigen ganzheitlichen Bedarf an Behandlung und Pflege vorwegnimmt. Die Wünsche der beeinträchtigten Person sollten in diesen Plan aufgenommen werden.

10d - Sollten die Familien nicht automatisch für die Festlegung Begräbnismodalitäten verantwortlich sein, sollten Fachleute und Pflegedienste trotzdem die Rolle der Familie bei der Organisation der Beerdigung würdigen und der Familie die nötige Unterstützung dafür geben.

11. Unterstützung im Trauerfall

11a - Beeinträchtigte Menschen erleben und durchleiden, wie Sie und wir auch, Verlust und Trauer (auch wenn sie dies möglicherweise anders ausdrücken).

11b - Beeinträchtigte Menschen unterliegen einem höheren Risiko Trauer schwieriger verarbeiten zu können. Diejenigen, die sie unterstützen und pflegen, sollten vorbereitet sein auf die Möglichkeit komplizierter Trauerreaktionen.

11c - Personen, die beeinträchtigte Menschen unterstützen und betreuen, sollten auch über verfügbare allgemeine oder spezialisierte Trauerdienste informiert sein, an die sie Trauernde bei Bedarf weiterleiten können.

11d - Beeinträchtigten Menschen sollte die Möglichkeit und die notwendige Unterstützung für eine Teilnahme an Begräbnissen zur Verfügung gestellt werden.

12. Aus- und Weiterbildung

12a - Mitarbeiterschulung: Betreuer und Fachkräfte, die beeinträchtigte Menschen am Ende des Lebens  unterstützen, sollten geschult werden, um mit den besonderen Bedürfnissen der Betreffenden umgehen zu können. Dazu gehören Schulungen zu Tod, zum Prozess des Sterbens und zur Palliativmedizin, als auch Schulungen zu intellektuellen Beeinträchtigungen für Mitarbeiter von Palliativpflegedienste.

12b - Aufklärung beeinträchtigter Menschen: Diese sollten während ihres Lebens nicht vor Informationen und Diskussionen über Krankheit, Tod und Sterben geschützt werden. Beispielsweise könnten Gesprächskreise in Tagesstätten eingerichtet werden. Dies könnte beispielsweise Sitzungen in Tageszentren, speziellen Bildungseinrichtungen oder zu Hause erfolgen. Familien und Betreuern sollten hinsichtlich einer Initiierung und Durchführung solcher Diskussionen ermutigt werden und Unterstützung erhalten.

13. Dienstleistungen entwickeln und managen

13a - Politische Entscheidungsträger sollten einer gleichgestellten Palliativpflege für beeinträchtigte Menschen Vorrang einräumen.

13b - Die politischen Entscheidungsträger sollten ausreichende Mittel für ein Angebot einer angemessenen Palliativmedizin für beeinträchtigte Menschen bereitstellen.

13c - Organisationen, die betreuende und pflegende Dienstleistungen für beeinträchtigte Menschen anbieten, sollten sich dahin entwickeln, auch palliative Leistungen anbieten zu können.

13d - Organisationen, die Palliativpflegedienste anbieten, sollten ein Klientel "Menschen mit intellektuellen Beeinträchtigungen" als Kunden mit einplanen. Dies beinhaltet die Planung ausreichender Räumlichkeiten, technischer Ausstattung, Personal und die Bereitstellung von Fachwissen.